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Siebter Koalitionskrieg im Jahre 1815
Die Gegensätze der Siegernächte auf den Wiener Kongreß (1.11.1814 bis Mitte Juni 1815) und die Mißstimmung im französischen Volk über die Politik der Ultraroyalisten bewogen Napoleon Anfang März 1815 von Elba nach Frankreich zurückzukehren (Herrschaft der hundert Tage). Gegen ihn erneuerten Großbritannien, Rußland, Österreich und Preußen an 25.3. in der Konvention von Wien ihr Bündnis, dem bis auf Schweden, Neapel und die Türkei alle europäischen und deutschen Staaten beitraten.
Als Napoleon am 1. März 1815 in Golfe-Juan unweit Cannes landete (er hatte 1.000 Mann bei sich), beurteilte er die politische Lage richtig; ohne einen Schuß führte ihn ein zwanzigtägiger Triumphzug nach Paris. Der größte Teil des Heeres schlug sich auf seine Seite, die den Bourbonen geschworenen Treueeide wurden weithin gebrochen. Kurz nachdem Ludwig XVIII. nach Gent geflohen war, zog Napoleon in den Tuilerien ein. Doch er täuschte sich über die Tiefe der Zerwürfnisse unter den Feindmächten bei der Verteilung der Siegesbeute auf den Wiener Kongreß. Er suchte in Verhandlungen mit den Großmächten zu treten, doch diese beeilten sich, ihre Differenzen beizulegen. Die gemeinsame Furcht vor dem "korsischen Werwolf" überwog bei weitem und schweißte sie sogleich wieder zusammen. Schon am 27. März verhängten sie über Napoleon die "Acht" und verpflichteten sich, ihn ein für alle mal zu erledigen. Bis Ende Juni sollten 6 Armeen, über 700.000 Mann, gleichzeitig die französische Grenze überschreiten. Viele der dafür vorgesehenen Truppen mußten den Rückmarsch in die Heimatgarnisonen abbrechen oder sogar eine bereits vollzogene Demobilisierung rückgängig machen. Das traf vor allem für Rußland und Österreich zu, deren Armeen die längsten Anmarschstrecken zurückzulegen hatten.
Mit aller Energie ging Napoleon daran, sich gegen diese mächtige Koalition zu rüsten, beschaffte Geld, Pferde, Waffen, richtete Werkstätten ein und musterte 350.000 Mann für die Verteidigung Frankreichs und die Unterdrückung eines Aufstandes. Was man auf alliierter Seite nicht wußte, war, daß das Waterloo-Abenteuer des machthungrigen französischen Imperators hauptsächlich von englischen Banken finanziert wurde.
Lediglich Preußen verfügte im Rheinland über Kräfte, die rasch kriegsbereit gemacht und in den belgischen Teil der Niederlande vorgeschoben werden konnten. Bis Mitte Juni wuchs das Operationsheer unter Feldmarschall Blücher auf 113.000 Mann mit 288 Geschützen an, das in vier annähernd gleichmäßig formierte Armeekorps gegliedert war und im Raume Charleroi - Naumur - Lüttich stand. Gleichzeitig landeten englische Truppen, die sich mit dem niederländischen Heer, hannoveranischen, braunschweigischen, nassauischen und anderen deutschen Truppenteilen bei Brüssel zu einer Armee von 93.000 Mann und 204 Geschützen vereinigten. Ihren Oberbefehl übernahm Lord Wellington, der 1813 den Spanienfeldzug bravourös gewonnen hatte.
Aus Gründen der Versorgung und Unterbringung sowie zur Sicherung der langgestreckten Grenze waren beide Armeen weit auseinandergezogen und durch große Entfernungen getrennt. Blücher und Wellington trafen wohl Maßnahmen für eine schnelle Konzentration ihrer Verbände. Sie hielten jedoch eine plötzliche Offensive Napoleons für ausgeschlossen.
Dieser befand sich jedoch in argem Zugzwang. Seit der Wiedererrichtung seiner Herrschaft hatte er die Aufrüstung vorangetrieben. Innenpolitische Rücksichten verboten ihm aber, drakonische Maßregeln zu ergreifen, um die für einen großen Krieg gegen die siebte Koalition erforderlichen Streitkräfte kurzfristig aufzustellen. Statt der von ihm berechneten Mindeststärke von 800.000 Mann erreichte die Zahl seiner Soldaten im Juni kaum 500.000 Mann, von denen infolge Waffen- und Pferdemangel nur 230.000 Mann sofort als Feldtruppen verwendbar waren.
Aus ihnen bildete der Kaiser neben einigen kleineren Armeen, die er für die Grenzsicherung am Oberrhein, zur Schweiz, zu Italien und Spanien sowie der Küsten bestimmte, die Nordarmee mit 5 Korps, 4 Kavalleriekorps und 300 Geschützen. Sie zählte zwar nur 124.000 Mann, bestand aber fast ausschließlich aus erstklassigen Truppen, darunter vielen freiwillig zu den Fahnen geeilten Veteranen.
Die weiträumige Dislokation seiner Gegner bot Napoleon die einzigartige Chance, seine schwierige strategische Lage mit einem Schlag zu verbessern. Er mußte durch eine Offensive auf der inneren Linie Blüchers und Wellingtons Armeen getrennt schlagen und sie zum überstürzten Rückzug auf die eigenen Basen zwingen: die Engländer zur Küste bei Antwerpen, die Preußen über Lüttich zum Rhein. Nach dem Sieg über die englisch-niederländische und die preußische Armee wollte er sich gegen die anmarschierenden Österreicher und Russen wenden, sie entweder schlagen oder mit ihren Herrschern einen Friedensschluß zu erreichen suchen. Daß sich die beiden feindlichen Armeen nach einer Niederlage durch einen konzentrischen Rückzug vereinigen könnten, zog er nicht in Betracht. Da er unter äußersten Zeitdruck litt, mußte er auf ein nüchternes Abwägen der Kräfteverhältnisse und der feindlichen Absichten verzichten.
Nun, Napoleon konnte in Belgien einen Feldzug, nie aber den Krieg gewinnen. Sein letzten Abenteuer mochte etwas länger dauern als die "Hundert Tage", als die es in die Geschichte einging: beim bestehenden internationalen Kräfteverhältnis war das Ende seines Weges auf diesem oder jenem St. Helena unvermeidlich. Als er 1821 dort verstarb, war es für Realpolitiker "eine Nachricht, kein Ereignis": ein anderes Zeitalter harrte neuer Aufgaben, neuer, neuer Kämpfe, neuer Symbole.